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Reizdarm Eine ernstzunehmende Erkrankung?

Vom Gefühl, dass das Essen wie ein Stein im Magen liegt bis hin zu Durchfall – ein Reizdarm äußert sich auf verschiedene Weise. Lange Zeit hielt man den Reizdarm für eine Befindlichkeit. Inzwischen konnten jedoch tatsächliche körperliche Veränderungen nachgewiesen werden: So ist etwa die Versorgung des Darms durch die Nervenzellen gestört und die Empfindlichkeit gegenüber Schmerzen und Luft im Darm messbar gesteigert. Auch die Zusammensetzung der Darmbakterien kann verändert und die Darmtätigkeit gestört sein. Doch was genau bedeutet die Diagnose Reizdarm?

Die Wand des Dickdarms ist mit 100 Billionen Bakterien besiedelt – das ist ca. 14.000 mal so viel wie Menschen auf der Erde leben. Diese Darmbakterien haben u. a. die Funktion zu verhindern, dass Krankheitserreger die Schleimhaut besiedeln können. Sie befinden sich zudem in einem engen Zusammenspiel mit Nerven, die den Darm versorgen, und dem Gehirn. Man spricht von der Darm-Hirn-Achse. Dieses System beginnt man aufgrund seiner Komplexität erst zu begreifen. Bei einem Reizdarm können die Ursachen im Darm und/oder im Gehirn und/oder der Nervenverbindung zwischen Darm und Gehirn liegen.

 

„Von einem Reizdarm spricht man, wenn die betroffene Person länger als drei Monate anhaltende oder wiederkehrende darmbezogene Beschwerden – wie Bauchschmerzen oder Blähungen – hat, die in der Regel mit Stuhlveränderungen einhergehen. Sie beeinflussen den Patienten in seiner Lebensqualität und werden nicht durch andere Erkrankungen hervorgerufen.“

  Dr. Niklas Jollet, Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie, MVZ Ärzte Marienplatz

Definition, Häufigkeit, Symptome

„Von einem Reizdarm spricht man, wenn die betroffene Person länger als drei Monate anhaltende oder wiederkehrende darmbezogene Beschwerden – wie Bauchschmerzen oder Blähungen – hat, die in der Regel mit Stuhlveränderungen einhergehen. Sie beeinflussen den Patienten in seiner Lebensqualität und werden nicht durch andere Erkrankungen hervorgerufen“, erklärt. Dr. Niklas Jollet, MVZ Ärzte Marienplatz. Von einem Reizdarm sind ca. 10 % der Bevölkerung betroffen. Frauen leiden häufiger unter Reizdarm als Männer und er kommt in allen Altersklassen vor. Häufig haben die Betroffenen zusätzlich erhöhten Lebensstress, welcher die Behandlung erschwert. Gehäuft liegen zusätzlich psychische Störungen vor wie z. B. eine posttraumatische Belastungsstörung, eine Essstörung, eine Angststörung oder eine Depression.

Drei Arten, ein Syndrom

Es werden mehrere Typen des Reizdarms unterschieden: Der Reizdarm vom Durchfall- bzw. Diarrhoe-Typ, der Reizdarm vom Verstopfungs- bzw. Obstipationstyp und der Reizdarm vom Mischtyp mit wechselnden Beschwerden. Jeder Typ kommt gleich häufig vor. Ein häufiges Symptom eines Reizdarms ist die Unverträglichkeit bestimmter Nahrungsmittel wie z. B. Alkohol, Fett, Hülsenfrüchte, Kohlenhydrate, Getreideprodukte und Zwiebeln.

Andere Ursachen ausschließen

Häufig wird ein Reizdarm durch einen Darminfekt ausgelöst. Zum Ausschluss anderer Erkrankungen als Ursache der Beschwerden sollte frühzeitig eine ausführliche Befragung durch den Arzt erfolgen. Warnsignale für Erkrankungen, sind Entzündungszeichen im Blut, Blutarmut (Anämie), Gewichtsverlust, Blut im Stuhl, zunehmende Beschwerden und solche, die noch nicht länger als 3 Monate vorliegen. Andere ernsthafte Erkrankungen, die ausgeschlossen werden müssen, sind unter anderem Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Nahrungsmittelunverträglichkeiten  (z.B. Milch- oder Fruchtzucker, Gluten), eine Durchblutungsstörung des Darms, eine mechanische Störung der Verdauung, aber auch Darm- oder Eierstockkrebs. Diese Erkrankungen werden mit verschiedenen Methoden ausgeschlossen. Das kann eine Magen- und Darmspiegelung mit Probenentnahme an unterschiedlichen Stellen sein, eine Stuhluntersuchung auf Krankheitserreger und Entzündungsmarker, ein Ernährungs-Symptom-Tagebuch zur Klärung von Nahrungsmittelunverträglichkeiten und bildgebende Verfahren wie z. B. Ultraschall, CT oder MRT.

Aktuell kein körperlicher Nachweis möglich

Wiederholungsuntersuchungen sind bei Reizdarm nicht nötig. „Auch wenn erste Studien inzwischen körperliche Veränderungen nachweisen konnten, gibt es aktuell keine ärztliche Untersuchung im Blut oder Stuhl, die einen Reizdarm beweisen“, so Dr. Jollet. Die Stuhluntersuchung auf die individuelle Zusammensetzung aus unterschiedlichen Darm-Bakterien (Mikrobiom) wird aktuell nicht empfohlen, da sich hieraus noch keine gesicherte Konsequenz ergibt.

 

„Auch wenn erste Studien inzwischen körperliche Veränderungen nachweisen konnten, gibt es aktuell keine ärztliche Untersuchung im Blut oder Stuhl, die einen Reizdarm beweisen.“

  Dr. Niklas Jollet, Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie, MVZ Ärzte Marienplatz
 

„Eine Standardtherapie zur Behandlung des Reizdarmsyndroms gibt es nicht. Jedoch ist es ratsam, auf eine gesunde Lebensführung zu achten.“

  Dr. Niklas Jollet, Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie, MVZ Ärzte Marienplatz

Keine Standardbehandlung

Bei der Behandlung des Reizdarms ist es zunächst wichtig, dem Betroffenen zu vermitteln, dass die Beschwerden nicht eingebildet sind und die Lebenserwartung normal ist. „Eine Standardtherapie zur Behandlung des Reizdarmsyndroms gibt es nicht. Jedoch ist es ratsam, auf eine gesunde Lebensführung zu achten“, empfiehlt Dr. Jollet. Hierzu zählt regelmäßige körperliche Aktivität – am besten fünfmal pro Woche für 30 Minuten. Aufs Rauchen sollten Betroffene verzichten und Alkohol nur in Maßen einnehmen. Zudem gilt es, individuelle Triggerfaktoren wie Stress, bestimmte Nahrungsmittel, Bewegungs- oder Schlafmangel zu vermeiden.

 

„Auch ein Therapieversuch mit Medikamenten, die sonst gegen eine Depression eingesetzt werden, ist nach ärztlicher Absprache möglich, um die Schmerzempfindlichkeit herabzusetzen.“

  Dr. Niklas Jollet, Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie, MVZ Ärzte Marienplatz

Medikamente gegen Reizdarm

Je nach Schweregrad können in Absprache mit dem Arzt Medikamente eingenommen werden, die die Symptome, wie etwa Durchfälle oder Verstopfung, lindern. Bei Schmerzen und Blähungen hilft Pfefferminzöl. „Auch ein Therapieversuch mit Medikamenten, die sonst gegen eine Depression eingesetzt werden, ist nach ärztlicher Absprache möglich, um die Schmerzempfindlichkeit herabzusetzen“, sagt Dr. Jollet. Eine medikamentöse Therapie zur Linderung der Symptome sollte nach spätestens drei Monaten beendet werden, wenn Patienten nicht darauf ansprechen.

Ernährung bei Reizdarm

Bezüglich der Ernährung gilt: ausprobieren was hilft. Grundsätzlich ist eine professionelle Ernährungsberatung empfehlenswert. Patienten können über einen begrenzten Zeitraum Weizen und Gluten reduzieren oder auch die low-FODMAP-Diät ausprobieren. Bei dieser Diät werden Lebensmittel mit gasfördernden Kohlenhydratverbindungen vermieden. Zudem sollten Betroffene ausreichend Ballaststoffe (z. B. Flohsamen) zu sich nehmen. Auch probiotische Lebensmittel wie Sauermilchprodukte können wirksam sein.

 

Die Psyche im Blick behalten

Das Erlernen von Strategien zur Stressvermeidung und Krankheitsbewältigung sowie Entspannungstherapien können ebenfalls gegen Reizdarm helfen. Sind Patienten stark im Alltag eingeschränkt und/oder haben psychische Begleiterkrankungen wie Ängste und Depressionen, sollte zusätzlich eine psychotherapeutische Therapie erfolgen. Wichtig sind regelmäßige Verlaufsgespräche, um die Therapie anzupassen. Im Internet findet man zum Erfahrungsaustausch Adressen von Selbsthilfegruppen.

Ihr Experte

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Dr. med. Niklas Jollet

Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie

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