Symbolbild Mangelernährung

Mangelernährung Ein kaum sichtbares Problem

Bei der Diskussion um gesunde Ernährung geht es häufig um das Zuviel an Essen und um die steigende Anzahl der Menschen, die an Adipositas erkranken. Das Thema Mangelernährung gerät dabei oft aus dem Blick. „Mangelernährung ist insbesondere bei älteren Menschen ein Thema und sollte ernst genommen werden“, betont Prof. Dr. Rainer Wirth, Direktor der Klinik für Altersmedizin und Frührehabilitation des Marien Hospital Herne – Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum. Warum sind gerade ältere Menschen von Mangelernährung betroffen und welche Folge kann das für Betroffene haben?

Damit der menschliche Körper und die Organe optimal funktionieren, müssen sie mit ausreichend Nährstoffen versorgt werden. Die Nährstoffversorgung erfolgt im Idealfall über eine ausgewogene Ernährung. Dazu gehören Kohlenhydrate, Eiweiße, Proteine, Vitamine sowie Ballaststoffe und Spurenelemente. Im Alter verändern sich die Bedürfnisse des Körpers und vielen älteren Menschen fällt es immer schwerer, sich ausgewogen zu ernähren und regelmäßig zu essen. Hinzu kommt, dass viele akute und chronische Erkrankungen im Alter zu Appetitlosigkeit führen. Eine langfristig unzureichende Nährstoff- und Energieaufnahme führt zu Mangelerscheinungen, die weitgehende Auswirkungen auf den Körper haben. Auch eine gestörte Nährstoffverwertung kann zu einer Mangelernährung und zu einem unkontrollierten Abbau von Körpersubstanz führen.

Ab wann spricht man von einer Mangelernährung?

Nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) wird eine Mangelernährung im Alter (> 65 Jahre) anhand von zwei  Kriterien bestimmt:

1. der Body-Mass-Index (BMI) liegt unter 20 kg/m² oder

2. der / die Betroffene nimmt ungewollt in einem Zeitraum von 3 Monaten mehr als 5 % seines Körpergewichts ab.

Body-Mass-Index (BMI)

Der Body-Mass-Index (BMI) gibt das Verhältnis zwischen Körpergewicht und Körpergröße an. Die Berechnung erfolgt nach folgender Formel: Körpergewicht in kg / Körpergröße in m² = BMI (kg/m²). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat für Erwachsene folgende Klassifizierung festgelegt:
 

unter 18,5: Untergewicht
18,5 - 24,9: Normalgewicht
25 - 29,9: Übergewicht
30 - 34,9: Adipositas (Fettleibigkeit) Grad I
35 - 39,9: Adipositas Grad II
ab 40: Adipositas Grad III
 

Bei älteren Menschen spricht man heute bei einem BMI < 30 allerdings nicht mehr von Übergewicht, da hier negative Auswirkungen für die Gesundheit kaum zu erwarten sind.

Vielfältige Ursachen

Mangelernährung im Alter tritt meist nicht akut auf, sondern ist das Ergebnis einer längerfristig unzureichenden Nährstoffaufnahme. Häufig kommen mehrere Ursachen zusammen. Durch die geringe Stoffwechselaktivität und die abnehmende körperliche Aktivität verringert sich im Alter der Energiebedarf. Der Bedarf an Mineralstoffen, Spurenelementen, Vitaminen und Proteinen bleibt aber unverändert und kann aufgrund von Erkrankungen sogar erhöht sein. Hinzu kommt, dass bei älteren Menschen oft das Hungergefühl ausbleibt und sie dadurch häufig weniger essen.

 

„Grund dafür ist meist das Zusammenspiel mehrerer Faktoren, die dazu führen, dass ältere Menschen einfach weniger bis keinen Hunger verspüren.“

  Prof. Dr. Rainer Wirth, Direktor, Klinik für Altersmedizin und Frührehabilitation, Marien Hosital Herne - Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum

Von Kau- und Schluckstörungen bis hin zu entzündlichen Faktoren und Medikamentennebenwirkungen sind zahlreiche Faktoren bekannt, die zu einem Nährstoffmangel führen können. Zudem verändert sich im Alter der Geruchs- und Geschmackssinn, der für das Schmecken der Speisen verantwortlich ist. Liegt hier eine Störung vor, lehnen Betroffene die Mahlzeiten oft ab oder lassen bestimmte Mahlzeiten aus. „Das Essen hat für die Betroffenen nicht mehr viel mit Genuss zu tun. Nichts schmeckt mehr wie früher und der Appetit lässt nach“, erläutert Wirth. Neben diesen physiologischen Veränderungen spielen oft auch krankheitsbedingte Faktoren eine Rolle. Akute und chronische Erkrankungen wie neurologische Erkrankungen, Tumorerkrankungen, Lungen- oder Magen-Darm-Erkrankungen können ebenfalls eine Mangelernährung auslösen.

Symptome und Folgeerscheinungen

Bereits erste Anzeichen für eine Mangelernährung sollten ernst genommen werden. Dazu gehören beispielsweise Änderungen des Essverhaltens, das Auslassen der Mahlzeiten, ein ungewollter Gewichtsverlust, Mundtrockenheit, Müdigkeit, Antriebslosigkeit oder Schwäche. „Diese Symptome werden oft als Alterserscheinung interpretiert. Dabei deuten diese Anzeichen oft darauf hin, dass bereits ein Ernährungsdefizit vorliegt. Daher ist es wichtig, Betroffene und Angehörige für dieses Thema zu sensibilisieren, um die Entstehung einer Mangelernährung zu vermeiden“, empfiehlt der Direktor. Denn eine Mangelernährung geht nicht spurlos am Körper vorbei. „Die Betroffenen haben in der Regel ein geschwächtes Immunsystem, wodurch sie anfälliger für Krankheiten, Infektionen und Störungen der Organfunktionen sind“, führt er weiter aus. Zudem ist durch die Abnahme der Muskelmasse das Risiko für Stürze und Brüche erhöht. Die Leistungsfähigkeit nimmt ab und auch die Lebensfreude und soziale Teilhabe gehen zurück.

Mangelernährung vermeiden

Um Mangelerscheinungen zu vermeiden, empfiehlt der Mediziner auf eine ausgewogene und vielseitige Ernährung zu achten. „Dazu gehört eine ausreichende Aufnahme von Proteinen, Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen. Durch nährstoffdichte Lebensmittel wie Gemüse, Obst oder Fisch lässt sich der Nährstoffbedarf gut abdecken. Wichtig ist auch, dafür zu sorgen, dass die Gerichte appetitlich angerichtet sind. Um den Geschmack zu verstärken, ist es sinnvoll Gewürze und Kräuter zu verwenden“. Zudem sollten Menschen im hohen Alter und Personen mit chronischen Erkrankungen auf eine ausreichende Zufuhr an Vitaminen, Spurenelementen und Mineralstoffen achten. Hierzu zählt beispielsweise auch die Eisenzufuhr. „Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) sollten ältere Menschen für den Erhalt der Gesundheit mindestens 10 mg Eisen täglich zu sich nehmen“, so Wirth. Hierfür eigen sich Fleisch, aber auch Hülsenfrüchte und Getreideprodukte.

Absolute Mindestmengen, die ältere Menschen täglich zu sich nehmen sollten, um eine Mangelernährung zu vermeiden:

- mindestens eine warme Mahlzeit
- mindestens drei Portionen Obst und Gemüse
- mindestens eine Scheibe Vollkornbrot
- mindestens eine Portion Milch, Joghurt oder Quark
- mindestens eine Portion Fleisch oder Fisch

 

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt eine tägliche Flüssigkeitszufuhr durch Getränke von mindestens 1,5 Liter pro Tag. Der individuelle Bedarf variiert je nach Alter, Geschlecht, Körpergröße, Außentemperatur und körperlicher Aktivität. Dabei sollte beachtet werden, dass bei Krankheiten, wie Durchfall, Fieber oder Erbrechen, der Bedarf erhöht ist, ob jung oder alt. Neben Trink- und Mineralwasser eignen sich auch Tee, Kaffee oder Saftschorlen. Auch über die Nahrungsmittel, die einen hohen Flüssigkeitsanteil aufweisen, kann der tägliche Bedarf gedeckt werden. Dazu gehören beispielsweise Melone, Gurke oder Suppen.

 

Flüssigkeit ist das A und O!

Um alle Körperfunktionen aufrecht zu erhalten, ist es ebenso wichtig, täglich ausreichend Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Wasser ist an zahlreichen körperlichen Prozessen beteiligt und damit für das Funktionieren des menschlichen Körpers unentbehrlich. Während der Organismus eines jungen Erwachsenen etwa 60 – 70 % aus Wasser besteht, liegt der Wasseranteil älterer Menschen nur noch bei 40 – 50 %. Mit zunehmendem Alter verlieren die Nieren die Fähigkeit, den Harn zu konzentrieren. Das hat zur Folge, dass mehr Wasser aufgenommen und ausgeschieden werden muss. Hinzu kommen Trinkhindernisse, die für eine geringe Aufnahme von Flüssigkeit sorgen wie zum Beispiel ein verringertes Durstempfinden oder Schluckstörungen.

Aber auch Inkontinenz kann das Trinkverhalten negativ beeinflussen.Viele ältere Menschen schränken ihre Trinkmenge ein, weil sie Angst haben, besonders in der Nacht, nicht rechtzeitig zur Toilette zu kommen. Vor allem bei älteren Menschen, die an chronischen Erkrankungen leiden oder bettlägerig sind, ist die Kombination aus Flüssigkeitsverlust und unzureichender Flüssigkeitszufuhr mit gesundheitlichen Risiken verbunden“, fasst Wirth zusammen.

Screenings – aussagekräftig und effektiv

Mithilfe eines Screenings können Personen mit einem Risiko für Mangelernährung identifiziert werden, bevor es zu erheblichem Gewichtsverlust und anderen Folgeerscheinungen kommt. „Die Betroffenen werden dann gezielt unter die Lupe genommen. Dabei werden bestimmte Kriterien abgearbeitet, die uns schnell Aufschluss über den Ernährungszustand und eine mögliche Nährstoffunterversorgung gibt. Auf der Basis der Ergebnisse entwickeln wir ein individuell abgestimmtes Behandlungskonzept, um den Mangelzustand zu erkennen und effektiv und langfristig zu verbessern. Vor allem bei älteren Menschen, die an einer chronischen Erkrankung leiden, sollte regelmäßig in der Klinik ein solches Screening durchgeführt werden“, empfiehlt Prof. Wirth.

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Prof. Dr. Rainer Wirth

Direktor
Klinik für Altersmedizin und Frührehabilitation
Marien Hospital Herne – Universitätsklinikum der
Ruhr-Universität Bochum
Fon 0 23 23 - 499 - 24 01
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